Schuldentilgung wie im Märchen
Gut gefüllt war der große Saal in der Bad Königer Rentmeisterei am Abend des 15.März 2011, als der Bürgermeister von Rednitzhembach – jener mit Eingemeindungen etwa 7000 Einwohner zählenden mittelfränkischen Kommune bei Roth am See – seinen schon aus Presse, Hörfunk und TV-Auftritten bekannten Vortrag über den dortigen, nahezu wundersamen, kompletten Schuldenabbau hielt. Gebannt und staunend lauschte das parteiübergreifend bunt gemischte Publikum auf Einladung der Wählergemeinschaft ZBK – Zukunft Bad König e.V. nach Begrüßung von Martin Schlingmann und Einleitung in die Materie von Roland Recebs den teils ungewöhnlichen und verblüffenden, aber bewiesenermaßen sehr wirkungsvollen Konzepten des 51-jährigen Jürgen Spahl. Interessierter Zuhörer war auch sein Kollege Stefan Kelbert aus Michelstadt.
Als der Verwaltungsfachwirt Spahl 1996 vom Posten des Bauamtsleiters auf den Bürgermeistersessel wechselte, drückten ihn 5 Millionen Schulden. Dieses bedeutete einen täglichen Schuldendienst von 1.400,- Euro für die Gemeinde. (In Bad König ist das zur Zeit die sechs- bis siebenfache Summe!) Rednitzhembach hat seine Schulden in acht Jahren nicht nur völlig getilgt, sondern besitzt ein so dickes finanzielles Polster, so daß vor kurzem der Rathausneubau ohne rote Zahlen eingeweiht werden konnte. Die ersten ca. 6 Jahre dieses Umbruchs bezeichnete er als zugegebenermaßen hart; galt es doch, bei Verwaltung, Bevölkerung und Gremien alt eingefahrene Gewohnheiten sowie verkrustete Strukturen aufzubrechen und in ein innovatives Denken zu verwandeln.
So bestimmen nun die Rathausbediensteten weitgehend selbst über ihre Wochenarbeitszeit, organisieren sich nach Neigungen und Qualifikationen statt nach reinen Planstellen. Auf diese Weise wurde beispielsweise die Hobby-Computerfanatikerin nebenamtlich zur IT-Beauftragten, die Kassiererin zur Vorzimmerdame ohne Neuausschreibung eines Dienstpostens. Und als angenehmer Nebeneffekt wuchsen mit der Aufgabe auch Motivation und Leistung. So kam es ohne Entlassungen zu einer Reduktion der Arbeitsstunden um ca. 20%. Und dabei wuchs die Bevölkerung von Rednitzhembach in dieser Zeit um 11%.
Angelockt werden diese überproportional jungen Neubürger durch die konsequente und zunächst durchaus kostenintensive Investition in soziale und kulturelle Bereiche. Ein 200 qm-Jugendzentrum, drei konfessionell bzw. karitativ getragene Kindergärten und -horte, eine Ganztagsgrundschule, die eigene Jugendmusikschule und das Sportzentrum schaffen u.a. Anreize hierfür. Das Wir-Gefühl unter den Bürgern stärkt eine monatlich kostenlos erscheinende und durch Inserate getragene Gemeindezeitung, in welcher fast jeder Bürger im Lauf des Jahres vom Müllsammeln bis zum sportlichen Erfolg wenigstens einmal abgelichtet und erwähnt ist. Mit solchen Tricks werden die Franken bei der Stange gehalten, denn „jeder will sich am liebsten in einer Zeitung selbst sehen“, weiß der „Psychologe“ Spahl.
Ganz wichtig sind ihm verkürzte Planungs- und Genehmigungswege. Projektgruppen arbeiten vor, der Gemeinderat stimmt über den Vorschlag danach parteiübergreifend ab. Der Bürgermeister besucht prinzipiell alle Fraktionssitzungen und verändert damit die politische Landschaft samt ihren gefürchteten, lähmenden Grabenkämpfen. Die Sitzungen des Gemeinderates werden live in Internet übertragen, was nach Aussagen Spahls sehr zur positiven Entwicklung der politischen Kultur beigetragen hat. Immerhin wird jede Sitzung von 300 bis 600 Zuschauern verfolgt.
Allein 30.000 Euro spart der Ort im jährlichen Haushalt, weil er den Winter-und Wasserbereitschaftsdienst durch Zusatzurlaub statt Geld entlohnt.
Um bis zu 40% konnten die Energiekosten gesenkt werden, indem eine zentrale, computergesteuerte Bedienung der Beleuchtungs-, Heiz-, Lüftungs- und Kälteanlagen eingerichtet wurde. Braucht es für einen Tischtenniswettkampf laut Spielordnung 700 Lux Ausleuchtung, so fährt die Anlage für das anschließende Handballtraining auf die dafür ausreichenden 300 Lux herunter. Wenn eine große Discoparty im Jugendtreff steigt, wird die Wärmezufuhr abgeregelt, da sich der Raum dabei von allein heizt. Zu ungenutzten Zeiten gilt Frostschaltung usw.
Schlaglöcher kennt die Gemeinde nur von Hörensagen, seit alle Straßen durch kompletten oberen, kältebeständigen Schichtaustausch erneuert werden. Der älteste Wegeabschnitt ist nun 11 Jahre ohne entsprechende Mängel – worauf der ehem. Bauamtsleiter zu Recht stolz ist.
Ein weiteres großes Einsparpotential resultiert aus einer Verlagerung von Großinvestitionen in eine eigene gemeindliche GmbH. Dreimal darf geraten werden, wer hier Geschäftsführer, Aufsichtsratsvorsitzender und einziges Mitglied ist. Damit wird die lähmende kommunale Pflicht zur Auftragsvergabe an den billigsten Anbieter bei Ausschreibungen (auch wenn der aus Vorpommern kommt) umgangen. Spahl und seine Leute vom Fach verhandeln direkt mit den Firmen, feilschen um Rabatte, Sonderkonditionen, Abschläge, Skonti. Auch ständige Nachverhandlungen sind somit möglich. Unterm Strich fährt er damit qualitativ und pekuniär wesentlich günstiger. Zudem hält er Kaufkraft und Steuern im Land, denn alle Aufträge werden in einem Radius von maximal 30 km ums Rathaus herum vergeben, nach Möglichkeit selbstredend an lokale Betriebe.
Die schwarzen Zahlen im Gemeindehaushalt gibt die Verwaltung direkt an ihre Bürger weiter, soweit sie nicht anderweitig investiert werden müssen. So kostet ein Kubikmeter Brauchwasser in Rednitzhembach nur 1,05, ein Kubikmeter Abwasser lediglich 1,00 Euro.
Natürlich ist Herr Spahl kein Wunderheiler und er betont, dass die personellen, strukturellen und investiven Voraussetzungen selbstredend überall anders sind. So möchte er z.B. unsere Therme mit ihren jetzigen Problemen „nicht mal geschenkt“ haben. Dafür besitzt er ein Gemeindezentrum. Aber nach seiner festen Überzeugung gibt es in ganz Deutschland beträchtliche, noch nicht genutzte Sparpotenziale. Man muss es nur wollen und die heißen Eisen anpacken. „Irgendwas geht immer“, sagt er überzeugt.
Das optische Korsett für Spahls routinierten Parforceritt durch Bürokratie-, Finanz- und Verwaltungsdickicht waren Bilder, Grafiken und Statistiken aus seinem Beamer. Für jede der vielen Zwischenfragen und Bedenken aus dem großen Auditorium hatte er ein passendes Diagramm, die erschöpfende Antwort.
Langer, anerkennender Applaus verabschiedete den extra für die ZBK aus Franken angereisten Jürgen Spahl nach Hause. Sein erbetenes „Honorar“ war eine 300-Euro-Spende für ein Kinderheim in Kirgistan, welches ihm sehr am Herzen liegt. Diese gab ihm Martin Schlingmann herzlich gern beim dankenden Schlusswort mit auf den langen Rückweg.
Und nicht von ungefähr stand noch bis ganz zuletzt an der Stirnwand des Saales des Bürgermeisters Leitspruch: „Wer etwas will, sucht Wege. Wer etwas nicht will, sucht Gründe“.